Neue Varianten und Mutationen

Gastbeitrag:

Sechster Beitrag der Artikelreihe:
Moderne Mykologie in der Dermatologie

von Herrn Prof. Hans-Jürgen Tietz, Leiter des Instituts für Pilzkrankheiten, Berlin

Ein Reizwort macht noch immer die Runde: Mutationen. Wir sprechen aber nicht von Viren. Auch Pilze entwickeln sich evolutionär weiter. Diese sind zwar genetisch nicht so flexibel wie die meisten Viren und Bakterien, dafür nicht selten umso klüger. Denn ihre Strategie beruht fast immer auf einem Arrangement mit dem Immunsystem.

Ein gutes Beispiel dafür ist die chronische Vaginalmykose durch C. albicans. Die betroffenen Frauen sind sonst fast nie krank, weil der Erreger die Abwehr stimuliert. Viele Pilzinfektionen sind eben nicht die Krankheit der Kranken, wie wir es gelernt haben, sondern auch die der Jungen und Gesunden. Die Onychomykose bei Kindern ist ein weiteres Indiz dafür. Die Kehrseite der Medaille ist, dass viele Pilzerreger das Immunsystem zwar anregen, jedoch keine Immunität gegen sich selbst zulassen. Mit einer Art Waffenstillstand unterwandern sie die Abwehr, wovon beide Seite profitieren. Die Krönung der Evolution. Charles Darwin hätte seine Freude daran.

Der Nachteil dieser Symbiose ist, dass es gegen die Mykosen keine Schutzimpfungen gibt. Denn wenn schon auf natürliche Weise keine Immunität entsteht, gelingt dies auch nicht mit Hilfe einer Impfung. Eine Ausnahme ist die Kälberflechte der Rinder.

Pilzerreger sind ebenso in der Lage zu mutieren. Ein aktuelles Beispiel und problematisch ist die Resistenz einiger Spezies gegen Terbinafin. Ein Schock für die Mykologie, galt doch Terbinafin als die wirksamste Substanz gegenüber Dermatophyten. Die Resistenz gegenüber Terbinafin betrifft sowohl Klassiker wie T. rubrum, als auch Subspezies wie T. mentagrophytes vom Typ VII und Typ VIII, die  ursprünglich aus Thailand und Indien zu uns gelangten.

Im Falle von T. rubrum handelt es sich um punktuelle Mutationen im Squalen-Epoxidase-Gen, dem einzigen Angriffspunkt von Terbinafin [1, 2]. Ob es sich bei den neuen Varianten um eine erworbene oder Gott gewollte, primäre Resistenz handelt, ist noch unklar. Zumindest von der neuen Artenvielfalt in der Mykologie wäre Darwin begeistert gewesen. Ist sie doch ein Beispiel dafür, dass nicht nur Arten sterben, sondern auch heute noch neue hinzukommen.

Diagnostisch sind beide Typen kein Problem. Sie werden im Microarray von EUROIMMUN sicher und schnell als T. mentagrophytes erkannt. Beide Erreger unterscheiden sich im Phänotyp, sowohl klinisch als auch kulturell. Wer einen T. mentagrophytes Typ VII einmal sah, wird ihn nie mehr vergessen. Der Hautbefund ist dramatisch, vermutlich aufgrund seiner evolutionären Neuartigkeit und der damit verbundenen immunologischen Fremde. Die Kultur ist ebenso beeindruckend. Sie wächst jedoch relativ langsam und verliert in Subkulturen rasch ihr wunderbar weinrotes Pigment. Eher unauffällig sind die Kolonien vom Typ VIII. Offen ist noch die genaue Nomenklatur beider Keime.

Die Übertragung von Typ VII erfolgt überwiegend sexuell, weshalb er als erster Dermatophyt in die Kategorie Sexually Transmitted Diseases, kurz STD, eingeordnet wurde – ein absolutes Novum. Auch die exakte genetische Differenzierung beider Typen im Microarray von EUROIMMUN steht nach kurzer Zeit unmittelbar bevor.

Welch großer Fortschritt die Gendiagnostik bei den Mykosen ist, zeigt sich auch bei unserem heutigen Patienten. Denn wer denkt aufgrund einer starken Klinik nicht an einen „Thailandpilz“. In der Kultur wuchs nach Wochen nur ein kleines Pilzlein, ohne jede Chance auf konventionelle Identifikation (Titelbild: Nachweis des Erregers der psoriasiformen Tinea inguinalis aus der Kultur und mit dem Microarray Dermatomycosis: T. rubrum). Hilfreich war die PCR: Es war ein T. rubrum, der sich gegenüber der zuvor erfolgten Therapie mit Terbinafin als resistent erwies. Das Terbinafin-Generikum hat womöglich auch die starke psoriasisforme Überreaktion der Haut ausgelöst, in Alliance mit dem Erreger. Denn auch Dermatophyten kommen als Provokationsfaktoren einer Psoriasis in Frage. Ebenso für ein hyperreaktives Mykid. Unter der Therapie mit Itraconazol und Ciclopirox heilt diese bemerkenswerte Mykose allmählich ab. Fazit: In der Mykologie viel Neues. Es bleibt spannend.

Ihr Hans-Jürgen Tietz

Literatur

[1] Rudramurthy SM, et al. Antimicrob Agents Chemother 62: e02522-17 (2018) [2] Burmester A, et al. Medical Mycology Case Reports 26: 23-24 (2019)

 

Die Artikel in der Rubrik „Gastbeiträge“ geben die Meinung ihrer Autoren wieder. Die inhaltliche und rechtliche Verantwortung liegt allein bei den Autoren. EUROIMMUN übernimmt weder eine Garantie für die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Angaben, noch für deren Aktualität.

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